Empedokles
Kurze
Streitschrift zum Zusammenhang von
Vollkommenheit, Hoffnung und Kunst
Erdacht nach
der Methode von Descartes,
ähnlich trocken und emotionslos argumentierend
wie Aristoteles, rekurrierend auf die Aufklärung,
basierend auf dem Privatfernsehen, beginnend
mit einem Allgemeinplatz, endend mit Einstein
und Eco in einem Atemzug und nur scheinbar oberflächlich
Daß
absolute Vollkommenheit im Leben etwas ganz und gar unmögliches
ist, wird dem verehrten Leser sicherlich hinlänglich bekannt sein
(den übrigen sei es hiermit kundgetan). Eine Rose hat man
verzeihe dieses kitschige Bild nun einmal Dornen. Die Schönheit
und Wärme des Urlaubsortes geht nun einmal einher mit der Gefahr
des Hautkrebses und eines verdorbenen Magens. Die Literatur wird nicht
müde, vollkommene Welten als Utopie, Illusion und oft auch teuflisches
Blendwerk zu entlarven. Und auch im Alltag wer von uns wüßte
das nicht! macht uns etwas zu perfektes mißtrauisch: Wir
suchen den Haken an einer Sache, wenn etwas zu schön ist, um wahr
zu sein (Im umgekehrten Falle verhält es sich genauso: Ist etwas
zu böse oder zu häßlich, suchen wir nach der Spur des
Menschlichen die Dialektik des Alltags eben.).
So hat im Zirkelschluß Vollkommenheit offenbar etwas mit Wahrhaftigkeit
zu tun. Was wiederum wahr ist, das mißt der voll auf Individualität
eingeschossene moderne Mensch einzig und allein an sich selbst, an seinen
eigenen Erfahrungen.Mit Erfahrungen sind ich sehe mich genötigt,
dies einzuschieben in diesem Falle nicht nur die »klassischen«,
sinnlichen, auf Erlebnissen basierenden Erfahrungen gemeint, sondern auch
und gerade im Zeitalter der Medien die vermittelten, aufbereiteten, angeeigneten
Erfahrungen anderer (denn in der Art der Verarbeitung und Selbstaufbereitung
besteht für das Individuum zwischen beiden Arten von Erfahrungen
kein Unterschied).
Darum ist Vollkommenheit nicht möglich: Sie ist schlicht und einfach
nicht wahr, da nach den Erfahrungen des Individuums (das niemals über
sämtliches Wissen verfügen kann) bisher nichts Vollkommenes
in der sinnlich wahrnehmbaren Welt existierte. Ja, im Normalfall weiß
das Individuum noch nicht einmal, daß das, was es weiß, nur
ein winziger Ausschnitt also Nichts ist.Doch warum, so höre
ich mich fragen, warum streben wir so nach Vollkommenheit, dem Vollkommenen?
In Liebesangelegenheiten (Ja, die gibt es!) jagen wir dem Traumpartner
nach, im Urlaub den Versprechungen der Prospekte, im Berufe oder der Freizeit
der Erfüllung; Kurz und auf den Punkt gebracht: Warum jagen wir Bildern
hinterher, die doch offenbar nur in unseren Herzen vorhanden sind?Die
Antwort steckt wohl in der Frage: Weil es Bilder sind! Groß geworden
mit und sozialisiert durch Bilder steht das Zeichen (denn nichts anderes
sind Bilder) nicht mehr für etwas, sondern ist.
Das Ergebnis ist eine Hoffnung: Mehr oder weniger unbewußt wissend,
daß alles Fiktion ist (oder nichts das läuft auf dasselbe
hinaus), hoffen wir, daß die letzte aller als solche gekennzeichneten
Fiktionen vielleicht auch keine ist: Die Vollkommenheit.Doch noch eine
zweite Frage, die mir aufstößt, gilt es zu klären. Es
ist die nach dem Verhältnis des Wissenden (des Intellektuellen, Wissenschaftlers,
Philosophen, Künstlers usw.) zur Vollkommenheit und damit
zur Abwesenheit von Wahrhaftigkeit.Nun, eines scheint dir, verehrter Leser,
und mir wohl immer klar vor dem geistigen Auge zu stehen: Der Wissende
weiß zu allererst, daß er nichts weiß. Zum anderen weiß
er, dafür ist er Individuum genug, daß Wahrheit im bereits
zitierten geistigen Auge des Betrachters liegt. Somit kommt er nicht umhin,
etwas Unwahrscheinliches, Vollkommenes in bezug auf seine Nicht-Wahrhaftigkeit
hin zu relativieren, da es ja eventuell nur ihm, seinen Bekannten usw.
als mit Haken versehen erscheint, nicht aber per se jedem. Die Vollkommenheit,
das Wahre rückt näher, zwinkert mit dem Auge und scheint
am klarsten in der Kunst (warum das so ist, könnte gut und gerne
Gegenstand einer weiteren Streitschrift werden).So stützt sich denn
der vieles ahnende Wissende auch auf die Hoffnung der Vollkommenheit und
klebt bis dahin das Etikett »Vollkommen« auf das, was seiner
Meinung nach der Sache am nächsten kommt: Das unergründliche
Lächeln der Mona Lisa, den lauten Schrei des stummen Laokoon, Symphonien
von Beethoven, den gedachten Kreis, jede Zahl ...
Und der Vollkommene? Der
würfelt nicht und schneidet sich auch nicht die Nägel, der ist
damit beschäftigt, das Universum mit Energie zu versorgen.
|