TempelAusgabe 1
13. April 2000
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Wer ist Empedokles? Empedokles

Kurze Streitschrift zum Zusammenhang von
Vollkommenheit, Hoffnung und Kunst

Erdacht nach der Methode von Descartes,
ähnlich trocken und emotionslos argumentierend
wie Aristoteles, rekurrierend auf die Aufklärung,
basierend auf dem Privatfernsehen, beginnend
mit einem Allgemeinplatz, endend mit Einstein
und Eco in einem Atemzug und nur scheinbar oberflächlich

Daß absolute Vollkommenheit im Leben etwas ganz und gar unmögliches ist, wird dem verehrten Leser sicherlich hinlänglich bekannt sein (den übrigen sei es hiermit kundgetan). Eine Rose hat – man verzeihe dieses kitschige Bild – nun einmal Dornen. Die Schönheit und Wärme des Urlaubsortes geht nun einmal einher mit der Gefahr des Hautkrebses und eines verdorbenen Magens. Die Literatur wird nicht müde, vollkommene Welten als Utopie, Illusion und oft auch teuflisches Blendwerk zu entlarven. Und auch im Alltag – wer von uns wüßte das nicht! – macht uns etwas zu perfektes mißtrauisch: Wir suchen den Haken an einer Sache, wenn etwas zu schön ist, um wahr zu sein (Im umgekehrten Falle verhält es sich genauso: Ist etwas zu böse oder zu häßlich, suchen wir nach der Spur des Menschlichen – die Dialektik des Alltags eben.).
So hat im Zirkelschluß Vollkommenheit offenbar etwas mit Wahrhaftigkeit zu tun. Was wiederum wahr ist, das mißt der voll auf Individualität eingeschossene moderne Mensch einzig und allein an sich selbst, an seinen eigenen Erfahrungen.Mit Erfahrungen sind – ich sehe mich genötigt, dies einzuschieben – in diesem Falle nicht nur die »klassischen«, sinnlichen, auf Erlebnissen basierenden Erfahrungen gemeint, sondern auch und gerade im Zeitalter der Medien die vermittelten, aufbereiteten, angeeigneten Erfahrungen anderer (denn in der Art der Verarbeitung und Selbstaufbereitung besteht für das Individuum zwischen beiden Arten von Erfahrungen kein Unterschied).
Darum ist Vollkommenheit nicht möglich: Sie ist schlicht und einfach nicht wahr, da nach den Erfahrungen des Individuums (das niemals über sämtliches Wissen verfügen kann) bisher nichts Vollkommenes in der sinnlich wahrnehmbaren Welt existierte. Ja, im Normalfall weiß das Individuum noch nicht einmal, daß das, was es weiß, nur ein winziger Ausschnitt – also Nichts – ist.Doch warum, so höre ich mich fragen, warum streben wir so nach Vollkommenheit, dem Vollkommenen? In Liebesangelegenheiten (Ja, die gibt es!) jagen wir dem Traumpartner nach, im Urlaub den Versprechungen der Prospekte, im Berufe oder der Freizeit der Erfüllung; Kurz und auf den Punkt gebracht: Warum jagen wir Bildern hinterher, die doch offenbar nur in unseren Herzen vorhanden sind?Die Antwort steckt wohl in der Frage: Weil es Bilder sind! Groß geworden mit und sozialisiert durch Bilder steht das Zeichen (denn nichts anderes sind Bilder) nicht mehr für etwas, sondern ist.
Das Ergebnis ist eine Hoffnung: Mehr oder weniger unbewußt wissend, daß alles Fiktion ist (oder nichts – das läuft auf dasselbe hinaus), hoffen wir, daß die letzte aller als solche gekennzeichneten Fiktionen vielleicht auch keine ist: Die Vollkommenheit.Doch noch eine zweite Frage, die mir aufstößt, gilt es zu klären. Es ist die nach dem Verhältnis des Wissenden (des Intellektuellen, Wissenschaftlers, Philosophen, Künstlers usw.) zur Vollkommenheit – und damit zur Abwesenheit von Wahrhaftigkeit.Nun, eines scheint dir, verehrter Leser, und mir wohl immer klar vor dem geistigen Auge zu stehen: Der Wissende weiß zu allererst, daß er nichts weiß. Zum anderen weiß er, dafür ist er Individuum genug, daß Wahrheit im bereits zitierten geistigen Auge des Betrachters liegt. Somit kommt er nicht umhin, etwas Unwahrscheinliches, Vollkommenes in bezug auf seine Nicht-Wahrhaftigkeit hin zu relativieren, da es ja eventuell nur ihm, seinen Bekannten usw. als mit Haken versehen erscheint, nicht aber per se jedem. Die Vollkommenheit, das Wahre rückt näher, zwinkert mit dem Auge und scheint – am klarsten in der Kunst (warum das so ist, könnte gut und gerne Gegenstand einer weiteren Streitschrift werden).So stützt sich denn der vieles ahnende Wissende auch auf die Hoffnung der Vollkommenheit und klebt bis dahin das Etikett »Vollkommen« auf das, was seiner Meinung nach der Sache am nächsten kommt: Das unergründliche Lächeln der Mona Lisa, den lauten Schrei des stummen Laokoon, Symphonien von Beethoven, den gedachten Kreis, jede Zahl ...
Und der Vollkommene? Der würfelt nicht und schneidet sich auch nicht die Nägel, der ist damit beschäftigt, das Universum mit Energie zu versorgen.

 
Leserbrief
Empedokles
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arcadien - warum das nichts nicht nichts ist