TempelAusgabe 1
13. April 2000
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Wer ist ianus? ianus

#2

könig der blumen

(recycled & benommen)

die straße schlängelte sich durch das hochland wie ein besoffener holzbock in einer biedermeierkommode. der thunfisch in meinem verdauungstrakt überlegte sich ernsthaft, ob er die besichtigungstour noch einmal von vorne beginne solle, während mein inneres lexikon endlich verstand, warum die engländer "riding a bus" sagten. in einem solchen, mit stoßdämpfern wie schwimmflügel für neugeborene, saß ich, während er mich anglotzte. seine augen glänzten dabei und erinnerten mich an den geschmack von kalksäulen in schummrigen tropfsteinhöhlen. er saß auf dem schoß einer fetten frau (als er mich anstarrte).
und die frau war wirklich fett. die unmengen bunten stoffes ihres dünnen, fettig schweißgenäßten sommerblumenkleides flossen über mehrere sitze wie ein grauer schleier über die augen eines sterbenden. von roten, blauen und gelben riesenblüten bewachsen, quollen die stoffbahnen, die ihre klebrigen fettpolster umschwammen und ausgereicht hätten, einen wohnblock für mehrere familien zu verhüllen, über alles, was sie umgab. hätte die fette frau ihren ehemann dabei gehabt, oder ihre kinder, enkel, nichten und neffen: niemand hätte es bemerkt. das linnene biotop, das sie zeitigte, hätte sie alle verschluckt. alle, bis auf ihn. er thronte inmitten der blütenvielfalt und des körpergeruches und starrte mich an.
der bus nahm ein um die andere kurve, die erste ging in die zweite über, um gleich darauf die nächste einzuleiten. die landschaft flog vorüber, während wir ausgesehen haben müssen wie ein samba tanzender backofen, der eine menge lebender baguettestangen durch das grün des lebens schiffte. mein innerer thunfisch faßte den entschluß, alsbald den gaumen doch noch einmal zu passieren, während er mich ohne unterbrechung angaffte aus feuchten, schwarzen augen, die mitsamt ihm in einem feuchtwarmen klima aus haut und stoffblumen von ungeheuren ausmaßen saßen.
er hatte weißes, dichtes haar, obwohl er noch sehr jung aussah. in mächtigen wirbeln stand es von ihm ab. er machte nicht gerade den intelligentesten eindruck, aber dumm schelten mag ich ihn auch nicht, wenngleich ihm seine zunge wie ein rosanes relikt sexueller phantasien aus dem gesicht hing. ich weiß nicht, wie man seine rasse landläufig nennt. zu hause sagten wir stets "mok" zu solcherlei geschöpfen, weil einer seiner art star von unzähligen werbesendungen war.
wir hätten sicher besseres zu tun gehabt, doch er starrte mich an und ich starrte ihn an. so ging das gute drei stunden, die mir vorkamen wie die aeonen der evolution von der mikrobe zum baumbewohner, wegen des thunfisches.
die massige hand der blumenumschlungenen qualle, die er wohl „frauchen" oder „mummie" nennen mußte, fuhr mit einem glitschigen geräusch durch sein farbloses, doch volles kopfhaar. und er starrte . . .

ein heftiger ruck riet dem thunfisch plötzlich, doch wieder tiefer in die unerforschten weiten meiner inneren organe abzutauchen, während ich hastig nach meiner jacke griff und so schnell ich nur konnte dieses motorisierte kamel der landstraße verließ, rechtzeitig bevor irgendein ausschälungsprozeß die milliarden von kalorien anfeuern konnte, die vor mir und unter dem weißhaarigen starrer saßen.
auch der hatte in weiser voraussicht seinen kränkelnden biosessel verlassen, und rannte den mittelgang hinunter, gen ausgang.
auf der straße sprang er hektisch um mich herum, bremste scharf vor meinen füßen und würdigte mich eines letzten blickes. dann kotzte mir der köter, der aussah wie ein werbestar und der mich drei stunden lang angestarrt hatte, direkt auf die schuhe.
der thunfisch kehrte um.

"08.05 uhr / sie kommen."
(max frisch - homo faber)

 
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