TempelAusgabe 3
28. Juli 2002
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Wer ist Kassandra? Kassandra

Der Nabel der Welt

Laudatio anlässlich der Enthüllung des restaurierten Freskenzyklus "Allegorien I-XVII"
von Cornelia von Drüste-Rümkorf aus dem Jahre 1988.
Gehalten von der Ministerin für Arbeit, Soziales, Jugend und Frauen,
Frau Dr. Elfriede Schmackenroth-Gellenreich.

 
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, verehrte Damen und Herren, wir haben uns heute hier versammelt, um an diesem denkwürdigen Tage ein denkwürdiges Kunstwerk der Welt neu und wieder zugänglich zu machen. In einjähriger Arbeit haben Restauratoren, Kunsthistoriker und Denkmalpfleger mit finanzieller Unterstützung der Stiftung der deutschen Kaffeeimporteure zwei Fresken freigelegt und restauriert, die für die Kunstinteressierten für immer verloren schienen: Cornelia von Drüste-Rümkorfs "Allegorien I-XVII" von 1988; ein Werk, dessen ästhetische Qualität, dessen Originalität und herausragende innovative Kraft in seiner Entstehungszeit nicht erkannt worden ist. Ganz im Gegenteil: Die Künstlerin ist sowohl von konservativen Kreisen, als auch von Kollegen, ja sogar von Frauen scharf kritisiert worden. Die Formensprache war der Zeit zu gewagt, die Rückgriffe auf kulturelles Erbe wurden nicht als solche erkannt, und die Darstellung der Frau in diesem Zyklus wurde als unverständlich und zu offenherzig getadelt. Erst heute können wir wirklich ermessen, welch riesenhafte Bedeutung diesem Kunstwerk zukommt.
Die Aufnahme der Zitate aus dem kulturellen Erbe unseres Volkes ist allein schon geeignet, diesem Werk besondere Innovation zuzugestehen; nun diese Zitate durch Frauen darzustellen gleicht dem Aufstellen der Relativitätstheorie oder der Entdeckung der DNS. Keine anderen Figuren sind besser geeignet, den Blick des Betrachters zu fesseln und auf das Wesentliche zu lenken. Keine anderen Figuren machen die Bedeutsamkeit des Themas der Fresken so eindeutig sichtbar. Nur durch die Frau als Bedeutungsträger liegt das Wesen der Dinge offen, rührt es uns an, als streife uns ein Kuss, der uns zur Erkenntnis führt - schlagartig enthüllt sich uns die Wahrheit über die Welt.
Haben sie, verehrtes Auditorium, je Klareres und Ergreifenderes gesehen als den über die Augen gezogenen Schleier der Trauer, etwas Furchterregenderes als die gepanzerte Brust des Krieges oder etwas Ehrfurchtgebietenderes als den Löwenkopfhelm der Stärke. Im wogenden Busen der Liebe fühlen wir ein Herz schlagen, unter der Kapuze der Rache lodert ein verzehrendes Feuer. Die Mär gießt ihre Fröhlichkeit in unser Herz und macht uns aufnahmefähig für die Weisheit der Sage, die uns die Welt sichtbar und verständlich macht.
Doch wie kommt dies? Ist es die Darstellung der Welt durch Frauenfiguren, geschaffen von einer Frau? So verschiedene Dinge werden uns offenbart, die doch scheinbar gar nicht vereinbar sind, ja nicht einmal symptomatisch, exemplarisch oder repräsentativ füreinander oder für irgendeine gemeinsame Struktur gesehen werden können. Doch hier ist die Subsumierung zum Teil sogar gegensätzlicher Positionen unter dem Begriff ‚Frau' treffend gewählt. Würden Stärke oder Krieg oder Rache durch Männer dargestellt, wäre der Zusammenhang so stark konstruiert, dass die Benutzung des Mannes als Projektionsfläche offen zu Tage läge. Mit Recht verurteilte dann die Kritik das Machwerk, welches nicht als Kunst bezeichnet werden dürfte. Der Blick auf den männlichen Körper wäre ein objektivierender, ein voyeuristischer Blick, der den Körper fraktalisiert. Dem Betrachter würde nichts offenbart. Die Zeichenhaftigkeit stünde losgelöst von den möglichen Interpretationen, da der männliche Körper nur die Form liefert. Die Substanz steht außerhalb dieser Form und ist uninterpretierbar. Durch die Eigenschaft des Außen, die dem männlichen Körper wesentlich anhaftet, kann die Substanz nicht in ihn gelangen, geschweige denn in ihm gehalten werden. Dies wird symbolisiert durch die Ausstülpung, körperlich manifestiert in den männlichen Geschlechtsorganen.
Ähnliches zeigt sich auch in der Unmodelliertheit dieser Körper. Wie soll der Erdkreis in einem Körper gesehen werden, der flach und ausdruckslos ist, sich nur entäußern kann - tötend und wegwerfend. Das schaffende Moment ist ihm fremd, damit auch die Fähigkeit der Welterklärung. Der Mann ist nicht in der Lage, sich aus der Sphäre der Sinnlichkeit in die des Verstandes oder gar der Vernunft zu erheben. Erst die Entäußerung in den weiblichen Körper ermöglicht es ihm - über diesen Umweg - an einem genialischen Erschaffungsprozess zu partizipieren; nicht ursächlich, sondern beigebend.
Wir müssen Empedokles widersprechen, wenn er behauptet, männlicher und weiblicher Körper hätten gleichen Anteil an der Zeugung bzw. Schöpfung. Ebenso liegt auch Aristoteles falsch, der behauptet, der weibliche Körper symbolisiere die Form, der männliche die Substanz. Ja, wir müssen sogar auf einen logischen Fehler in seiner Argumentation hinweisen: Wenn er sagt, das männliche Prinzip sei dieses, welches in ein anderes zeugt, das weibliche jenes, welches in sich selbst zeugt, so widerspricht dies seiner nachfolgenden Ansicht, das männliche sei das Prinzip mit dem Schöpfungsvermögen, das weibliche aber unvermögen. Ist es nicht vielmehr so, dass das Zeugen in etwas anderes nichts weiter bedeutet als die untergeordnete Teilhabe an einem Schaffungsprozess; ein zwar inspirierendes, aber keinesfalls selbst schaffendes?! Im Gegensatz dazu ist das in sich selbst schaffende weibliche Prinzip das wahrhaft genialisch schaffende, da es keines anderen bedarf, um eine Schöpfung hervorzubringen.
Dementsprechend muss noch einmal die große welterklärende Kraft dieses Kunstwerks von Drüste-Rümkorf hervorgehoben werden. Die Wahl des Frauenkörpers als Darstellungsmedium für Abstrakta in einer Zeit, als dieses tabuisiert worden ist, unterstreicht den revolutionären Anspruch, den die Künstlerin stets in ihren Werken vermitteln wollte.
Wir heute Lebenden können dies würdigen, da endlich der schädliche Einfluss gestriger Denkungsweisen niedergerungen ist. Wir wissen: Nur der weibliche Körper vereint die Welt in sich, die Möglichkeiten und Notwendigkeiten derselben. In ihm liegt die Vergangenheit und die Zukunft, die Zeitlichkeit und die Ewigkeit, Geschlossenheit und Offenheit, Innen und Außen, Form UND Substanz. Die Einheit aller Positionen liegt im Sein der Frau.

(Die Autorin distanziert sich vom Inhalt dieses Textes.)
 

Leserbrief
Kassandra
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