Kassandra
Der
Nabel der Welt
Laudatio
anlässlich der Enthüllung des restaurierten Freskenzyklus "Allegorien
I-XVII"
von Cornelia von Drüste-Rümkorf aus dem Jahre 1988.
Gehalten
von der Ministerin für Arbeit, Soziales, Jugend und Frauen,
Frau
Dr. Elfriede Schmackenroth-Gellenreich.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, verehrte Damen und Herren,
wir haben uns heute hier versammelt, um an diesem denkwürdigen Tage
ein denkwürdiges Kunstwerk der Welt neu und wieder zugänglich
zu machen. In einjähriger Arbeit haben Restauratoren, Kunsthistoriker
und Denkmalpfleger mit finanzieller Unterstützung der Stiftung der
deutschen Kaffeeimporteure zwei Fresken freigelegt und restauriert, die
für die Kunstinteressierten für immer verloren schienen: Cornelia
von Drüste-Rümkorfs "Allegorien I-XVII" von 1988;
ein Werk, dessen ästhetische Qualität, dessen Originalität
und herausragende innovative Kraft in seiner Entstehungszeit nicht erkannt
worden ist. Ganz im Gegenteil: Die Künstlerin ist sowohl von konservativen
Kreisen, als auch von Kollegen, ja sogar von Frauen scharf kritisiert
worden. Die Formensprache war der Zeit zu gewagt, die Rückgriffe
auf kulturelles Erbe wurden nicht als solche erkannt, und die Darstellung
der Frau in diesem Zyklus wurde als unverständlich und zu offenherzig
getadelt. Erst heute können wir wirklich ermessen, welch riesenhafte
Bedeutung diesem Kunstwerk zukommt.
Die Aufnahme der Zitate aus dem kulturellen Erbe unseres Volkes ist allein
schon geeignet, diesem Werk besondere Innovation zuzugestehen; nun diese
Zitate durch Frauen darzustellen gleicht dem Aufstellen der Relativitätstheorie
oder der Entdeckung der DNS. Keine anderen Figuren sind besser geeignet,
den Blick des Betrachters zu fesseln und auf das Wesentliche zu lenken.
Keine anderen Figuren machen
die Bedeutsamkeit des Themas der Fresken so eindeutig sichtbar. Nur durch
die Frau als Bedeutungsträger liegt das Wesen der Dinge offen, rührt
es uns an, als streife uns ein Kuss, der uns zur Erkenntnis führt
- schlagartig enthüllt sich uns die Wahrheit über die Welt.
Haben sie, verehrtes Auditorium, je Klareres und Ergreifenderes gesehen
als den über die Augen gezogenen Schleier der Trauer, etwas Furchterregenderes
als die gepanzerte Brust des Krieges oder etwas Ehrfurchtgebietenderes
als den Löwenkopfhelm der Stärke. Im wogenden Busen der Liebe
fühlen wir ein Herz schlagen, unter der Kapuze der Rache lodert ein
verzehrendes Feuer. Die Mär gießt ihre Fröhlichkeit in
unser Herz und macht uns aufnahmefähig für die Weisheit der
Sage, die uns die Welt sichtbar und verständlich macht.
Doch wie kommt dies? Ist es die Darstellung der Welt durch Frauenfiguren,
geschaffen von einer Frau? So verschiedene Dinge werden uns offenbart,
die doch scheinbar gar nicht vereinbar sind, ja nicht einmal symptomatisch,
exemplarisch oder repräsentativ füreinander oder für irgendeine
gemeinsame Struktur gesehen werden können. Doch hier ist die Subsumierung
zum Teil sogar gegensätzlicher Positionen unter dem Begriff Frau'
treffend gewählt. Würden Stärke oder Krieg oder Rache durch
Männer dargestellt, wäre der Zusammenhang so stark konstruiert,
dass die Benutzung des Mannes als Projektionsfläche offen zu Tage
läge. Mit Recht verurteilte dann die Kritik das Machwerk, welches
nicht als Kunst bezeichnet werden dürfte. Der Blick auf den männlichen
Körper wäre ein objektivierender, ein voyeuristischer Blick,
der den Körper fraktalisiert. Dem Betrachter würde nichts offenbart.
Die Zeichenhaftigkeit stünde losgelöst von den möglichen
Interpretationen, da der männliche Körper nur die Form liefert.
Die Substanz steht außerhalb dieser Form und ist uninterpretierbar.
Durch die Eigenschaft des Außen, die dem männlichen Körper
wesentlich anhaftet, kann die Substanz nicht in ihn gelangen, geschweige
denn in ihm gehalten werden. Dies wird symbolisiert durch die Ausstülpung,
körperlich manifestiert in den männlichen Geschlechtsorganen.
Ähnliches zeigt sich auch in der Unmodelliertheit dieser Körper.
Wie soll der Erdkreis in einem Körper gesehen werden, der flach und
ausdruckslos ist, sich nur entäußern kann - tötend und
wegwerfend. Das schaffende Moment ist ihm fremd, damit auch die Fähigkeit
der Welterklärung. Der Mann ist nicht in der Lage, sich aus der Sphäre
der Sinnlichkeit in die des Verstandes oder gar der Vernunft zu erheben.
Erst die Entäußerung in den weiblichen Körper ermöglicht
es ihm - über diesen Umweg - an einem genialischen Erschaffungsprozess
zu partizipieren; nicht ursächlich, sondern beigebend.
Wir müssen Empedokles widersprechen, wenn er behauptet, männlicher
und weiblicher Körper hätten gleichen Anteil an der Zeugung
bzw. Schöpfung. Ebenso liegt auch Aristoteles falsch, der behauptet,
der weibliche Körper symbolisiere die Form, der männliche die
Substanz. Ja, wir müssen sogar auf einen logischen Fehler in seiner
Argumentation hinweisen: Wenn er sagt, das männliche Prinzip sei
dieses, welches in ein anderes zeugt, das weibliche jenes, welches in
sich selbst zeugt, so widerspricht dies seiner nachfolgenden Ansicht,
das männliche sei das Prinzip mit dem Schöpfungsvermögen,
das weibliche aber unvermögen. Ist es nicht vielmehr so, dass das
Zeugen in etwas anderes nichts weiter bedeutet als die untergeordnete
Teilhabe an einem Schaffungsprozess; ein zwar inspirierendes, aber keinesfalls
selbst schaffendes?! Im Gegensatz dazu ist das in sich selbst schaffende
weibliche Prinzip das wahrhaft genialisch schaffende, da es keines anderen
bedarf, um eine Schöpfung hervorzubringen.
Dementsprechend muss noch einmal die große welterklärende Kraft
dieses Kunstwerks von Drüste-Rümkorf hervorgehoben werden. Die
Wahl des Frauenkörpers als Darstellungsmedium für Abstrakta
in einer Zeit, als dieses tabuisiert worden ist, unterstreicht den revolutionären
Anspruch, den die Künstlerin stets in ihren Werken vermitteln wollte.
Wir heute Lebenden können dies würdigen, da endlich der schädliche
Einfluss gestriger Denkungsweisen niedergerungen ist. Wir wissen: Nur
der weibliche Körper vereint die Welt in sich, die Möglichkeiten
und Notwendigkeiten derselben. In ihm liegt die Vergangenheit und die
Zukunft, die Zeitlichkeit und die Ewigkeit, Geschlossenheit und Offenheit,
Innen und Außen, Form UND Substanz. Die Einheit aller Positionen
liegt im Sein der Frau.
(Die
Autorin distanziert sich vom Inhalt dieses Textes.)
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