![]() 13. April 2000 |
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Der Fremde und das Dichten
Vorrede Der
folgende Brief entstammt dem umfangreichen Nachlaß einer Familie
aus Tübingen, den die Lorenberg-Stiftung vor kurzem erworben hat
und mit dessen Auswertung sie mich betrauten. Der Herausgeber Lointaine an Bellarmin De te fabula narratur! Nachricht aus dunklen
Landen zu hören, freut mich des abends im Scheine der auf getünchten
Wänden schreibenden Lampe besonders. Die Schatten umspielen mich
dann in meiner Höhle, das Pergament raschelt, der Docht knistert
und stört mich nicht. O Bellarmin, du hast
so viele Fragen! Fragen, auf die ich höchst selten eine Antwort weiß;
Fragen, die meine Liebe zur Wahrheit zwingt mich, dies zuzugeben
zu manchen Zeiten meine Mundwinkel zucken machten und Fragen, über
die nachzudenken ich bisher weder Muße noch Veranlagung hatte, die
mich nie quälten und unter einem klaren Sternenhimmel verblassen
bis zur Nichtigkeit. Ich erinnere mich noch deines Briefes, als der Große, den du bewundertest, mit Inbrunst verehrtest, vor kurzem ging (dieses kann ich nicht teilen, las ich doch nie etwas von ihm, wenngleich ich dem Urteile so vieler traue). Das Verbeugen scheint wohl wahr, doch deucht mich, der Gegenstand der Liebe ist ein Bild ein Bild gebaut aus vielen Büchern, rekonstruiert aus vielen Zeilen und gemalt mit Phantasie. Ich weiß nicht, ob du den geadelten Menschen hinter den Buchstaben persönlich kanntest, ob du je ein Wort zu ihm sprachst; du liebst den Dichter um seiner Poesie willen (und gäbe es sie nicht, liebtest du nicht; existierte nämlicher nicht). Was, wenn einstens Philologen und Historiker feststellten, daß er (der Große) mit Hinterlist und Argsinn unliebsame Buhler verdrängte, buckelte und kratze, um groß zu werden? Ich behaupte: Nichts ist dann. Denn was immerdar bleibt, ist das Werk, das Ewige, nur aus sich selbst existierende Kunstwerk. Übers Dichten
weiß ich nichts, über den Dichter nur aus seinem Werke. So
maße ich mir nicht an, von einem Menschen, dessen Zeilen ich verschlungen,
etwas zu sagen; nur über den göttlichen Dichter jener Erbaulichkeit
könnte ich sprechen. Denn beides ist nicht dasselbe (mich
dünkt, es werden noch an die hundert Jahr ins Lande ziehen, bis an
den Akademien dieses wird erkannt sein). Ich glaube, das Buch
ist eine bunte Wand; ein Mensch (mit Gefühlen großen
und nichtigen , mit Liebe und auch Haß, mit Fehlern und Genius)
sitzt am Tische und eine Lampe wirft Schatten an dieselbe. Was wir nur
sehen, sind Geisterwesen: vom sich mühenden schreibenden Menschen
(der Dichter) und den Produkten seines Kopfes (Figuren, Orte etc.). Auch
ist der Dichter nur ein Teil von dir und lebt in deinen Werken.
Wie viele es auch sein mögen, er (der Dichter) wird immer nur ein
Teil des Teiles von dir sein, nie etwas Ganzes. Es scheint arg
voreilig, aus dem Bruchstück eines Teiles auf das Universum zu schließen
(Zwar ist anderes nie möglich, doch ist ein solches Urteil stets
nur wahrscheinlich, niemals wahr.). De hoc satis! Habe Mut, mein teurer Freund, habe Mut und schere dich nicht. Nächstens mehr Dein L. Nachrede Wie in diesen Zeiten
üblich, befanden sich am Rande des Briefes und auf der Rückseite
einige Notizen und Bemerkungen des Empfängers, aus denen hervorgeht,
daß dem Adressaten seine künstlerischen Ambitionen verleidet
wurden. Es scheint sogar, daß der Adressat schon bald darauf das
Land verlassen haben könnte was im übrigen das Auffinden
desselben erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht. Hervorzuheben
ist hierbei die folgende Notiz: |
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arcadien - warum das nichts nicht nichts ist
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