TempelAusgabe 1
13. April 2000
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Wer ist ianus? ianus

#4

der feder

kurzes/ von außen nach innen/ et vice versa

"die neuesten zahlen sind da" kroch aus einem nebel chanel ‘allure’, west lights und überschlafenem cinzano. ich sah an ihr hoch. flüchtig. das schwarze stretch-etwas, das ihre marillenhüften so exakt abbildete wie vesuvlasur eine flüchtende traubenreicherin zu pompeji, warf im tal ihrer fruchtbarkeit anzügliche fältchen, von denen sich, in penibler symmetrie, zwei kleine streifen in richtung der taille verjüngten. das v, welches durch die nachlässigkeit beim schließen der oberen knöpfe ihres regenbogenschillerden polyesterhemdchens, das so gerne weiß gewesen wäre, unter ihrem schmalen hals entstanden war, beschrieb - als dreieck betrachtet - eine so große fläche haut, daß ich eher an ‘eingriff’ denken mußte denn an ‘ausschnitt’. ihre gesichtszüge, zweifelsohne makellos, wenn auch in einer etwas zu einsamen wohnung etwas zu anpreisend geschminkt, erinnere ich nur schemenhaft, sah ich doch nur beiläufig auf.
"und wie steht’s?" - "wir sollten schleunigst weitere 10.000 auflegen. das ding läuft besser als pinguine auf packeis." - "dann sollten wir kosten, wonach du riechst!" - . . .
das ‘ding’ war mein neues buch, und sie entsprach mit jeder faser ihrem beruf. - ich kannte sie nur flüchtig.

das buch aber war nicht mir, nicht im eigentlichen sinne. nicht wirklich meiner feder entsprungen. nun, der ‘feder’ schon, doch nicht durch mich, nicht explizit. dadurch schon, aber nicht in meinem kopf geboren. allein: meine hand führte den strich. meine schrift füllte die kladde. ich unterschrieb das manuskript. mein name prangte auf dem titel. ich löste die schecks ein. indes: nichts von alledem war wahrlich meins. nur die illusion gab es mir, meine, die umfassende, die alltägliche, die die menschen nicht sehen läßt, was unter der oberfläche, jenseits der hochglanzflächen, fern der credits real ist. was ich nicht zugab, nicht mir, nicht dem verlag, nicht öffentlich. dass ohne jenen tag vor wenigen wochen niemals ich es hätte sein können, der sich eine ‘marketing-supervisorin’ als groupie nahm. was auch immer das bedeuten mag.

"deine umsicht blendet mich." - "ich mag es, wenn frauen ihren stolz verleugnen. oder verleugnen, dass wiederkehrt, was sie einst verleugneten, um stolz sein zu können, was ihrer natur nicht entspricht, und die beiseitigung der lüge die wahrheit zeitigt, die nur als solche ihr verwerflich erscheint." - "erfolg macht sexy. und dich steigert das ins unermeßliche." - "keine floskeln, puppe! verschwende die bewegung deiner lippen nicht auf die beschreibung unbeschreiblichens." . . .

der tag war alltag. dienstag. die spärlichen augenblicke der alltäglichen pause verrannen, während ich im alltäglichen trott alles denken auf das nicht-an-arbeitsspezifisches-in-der-pause-denken konzentrierte, so nichts wahrnahm, gewöhnlich gewohntes, und das für entspannung hielt, der spannung der langeweile erliegend, die - nicht wahrgenommen - alltag heißt. derweise autistisch durchmaß ich den stadtpark im schatten der spiegelglasfassaden, jenes grünimitat, das wir uns im labor des artifiziellen erschaffen hatten, um das imitat für natur, und somit für natürlich zu halten. um kraft zu finden, die künstlichkeit unserer sozialisation für naturgegeben zu halten, und derart beruhigt, nicht mehr darüber nachzusinnen, den zweifel nicht mehr in betracht zu ziehen. perfekt. da brach das dickicht zu meiner linken, und linkisch, doch weniger gewaltig als das geräusch glauben gemacht hatte, entwand sich diesem ein vogel - nicht schön, nicht strahlend, nicht ausgemacht besonders, doch schwatzend, unumwunden, ungebremst, unaufhörlich, und dergestalt eine klischee-erscheinung verkörpernd. es belehrte mich. was ich nicht gewollt hatte, doch nicht ablehnte, nicht begrüßte, da ich keine meinung hatte, es nur geschehen ließ. es nur gewähren ließ.

"die aurora des erlesenen umstrahlte dich schon, als du durch diese tür tratst, das erste mal, damals, als du mit deinem manuskript uns zu jüngern machen solltest." - ". . . als du den sicherheitsdienst auf ‘schon wieder so einen angekackten allerweltskritzler, der glaubt die bibel neu geschrieben zu haben’ aufmerksam machtest . . ." - "ein glaube, der zur religion wurde." - ". . . alsdann die jungen muskelpaare der schließgesellschaft sich in mein gesicht kontrahierten, mich auf körpersäften gen ausgang schifften . . ." - "alles beglichen im nachhinein." - "begleichen muß du. ein ums andere mal noch. und einmal gleich jetzt."

der vogel war buddha. und taube. und geist. mir zwar zunächst egal, doch nachhaltig prägend, bekehrend wohl gar. was er, und ob er das sagte, weiß ich nicht. ich kann nur beteuern: ich war verblendet, doch nicht benebelt, geblendet nicht (so ohne licht), und nicht berauscht. was ich bleib: verblendet. was ich blieb: verdutzt. was mir blieb: ein schaft. und damit schuf ich, was nun wird, was es mir schuf, schüfe mehr noch, bliebe die zeit, um der reinen niederschrift willen, und hab es - schlußendlich - geschafft.

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