TempelAusgabe 1
13. April 2000
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Wer ist Kassandra? Kassandra

Wie man etwas schreibt, das Spaß macht

Oder: Eine produktionsästhetische
Aufforderung zum Trinken
(zu Risiken und Nebenwirkungen usw.)

Es kommt vor, daß man dazu aufgefordert wird, etwas zu schreiben, das Spaß macht. Leider wird im allgemeinen nicht gesagt, ob man selbst beim Schreiben Spaß haben soll, oder ob der Spaß dem Leser vorbehalten bleibt. Meistens läuft es jedoch auf das zweite hinaus. Man kann versuchen, der Aufgabe zu entkommen, doch leider gibt es häufig zwingende Gründe, den Auftrag anzunehmen. Diese Gründe sind verschiedener Art: Der Auftraggeber ist ein guter Freund, bei Ablehnung erfolgt Rauswurf (kann einem Journalisten geschehen), ohne Text kein Honorar (Geld, ein gutes Essen, Befriedigung anderer körperlicher Bedürfnisse). Wie Sie sehen, lieber Leser, hat man keine Wahl. Also muß man etwas schreiben, das Spaß macht.

Wie jedes Schreiben beginnt auch dieses mit einem weißen Blatt Papier und einem Federhalter nebst Tinte; oder mit dem Computerbildschirm und der Tastatur. Und wie sonst auch wartet man auf eine Idee.

Die Idee ist das innere Wesen und die höchste Wahrheit eines Dinges oder Begriffs, wird jedenfalls behauptet. Bei Platon sind Ideen reine Formen, die in der Erscheinungswelt immer nur schattenhaft wahrgenommen werden können. Wie Sie sich erinnern, gebildeter Leser, unterscheidet Descartes eingeborene Ideen von solchen, die entweder von außen an das Individuum heran- bzw. in es hineingetragen werden und solchen, die es selbst hervorbringt. Begriffe der reinen Vernunft sind sie dagegen bei Kant, der geistige Ausdruck eines in keiner Erfahrung anzutreffenden Unbedingten. Und in der Definition Hegels sind Ideen die Einheit von Begriff und Realität. Ich persönlich halte es da mit Descartes und sage: Ideen erhält man am leichtesten aus den Dingen, von denen man umgeben ist.

Also muß sich der Beauftragte sorgfältig umsehen. Dabei fallen einem verschiedene Dinge ins Auge: Ein Bett – großartig, heute ist es sowieso zu spät, Zeit zum Schlafen. Aber nein, wichtige Dinge müssen erledigt werden. Ein Blumenstrauß – das wird zu romantisch, also schlecht. Der Kühlschrank – Essen wäre gut, weil man sich für so eine große Aufgabe stärken muß.
Beim Gang zum Kühlschrank kommt man unweigerlich an den Alkoholika vorbei. Ha! Das ist es! Der Rausch war schon immer das beste Mittel, den Geist zu beflügeln. Wie soll man sonst eine leichte und spritzige Idee selbst hervorbringen? Bleibt die Frage, womit man sich in Rausch versetzen sollte. Da wäre eine halbe Flasche Whiskey (irischer, das ist gut, den amerikanischen kann man nicht trinken, ohne von Brechreiz gequält zu werden). Andererseits gibt es auch italienischen Rotwein. – In vino veritas, also : Wein!
Die Hälfte der Flasche wird gelehrt, jedoch ohne nennenswerte Ergebnisse Ideen betreffend. Beim Vertilgen der anderen Hälfte sprießen langsam dieselben, doch man kann sich noch nicht recht entscheiden, welche davon geeignet sind. Was nun, denkt sich der geplagte Autor und greift zur Whiskeyflasche. Ja, ich weiß, daß man niemanden zum Alkoholmißbrauch anregen soll. Doch Sie, geneigter Leser, müssen versuchen zu verstehen, in welch prekärer Lage sich der Schreiber befindet: Er muß etwas zu Papier bringen, das Spaß macht!

Sie glauben jetzt sicher zu ahnen, wie das Ganze endet. Doch noch ist es nicht soweit! Noch müssen ein paar Stationen des Leidens durchschritten werden.

In diesem Moment klingelt das Telefon. Halb entnervt, halb erleichtert greift unser Held zum Hörer und pflegt seine sozialen Kontakte. Zwar hat er ein schlechtes Gewissen, doch weiß er, genau wie Sie in-regem-Austausch-mit-anderen-stehender Leser, welch große Bedeutung der Kommunikation in unserer heutigen Gesellschaft zukommt. Denn Kommunikation ist bekanntlich die Übermittlung und das Empfangen von Gedanken, Informationen und Nachrichten. Sie ist das Ergebnis der sich über Jahrhunderte entwickelten Formen der Verständigung zwischen den Menschen, wobei die Entwicklung der Sprache eine wesentliche Rolle spielt. Über den Ursprung der schon genannten Sprache herrscht allerdings weitestgehend Uneinigkeit. Einige Worte könnten aus natürlichen Lauten entstanden sein, andere aus der Äußerung von Gefühlen. Für manche Theoretiker ist Sprache die Folge von Gruppenaktivitäten, wieder andere gehen davon aus, daß sie sich aus Grundlauten, die mit Gesten begleitet wurden, entwickelte. Wie auch immer, jedenfalls werden heutzutage in der Welt um die 3000 Sprachen und Dialekte gesprochen, von denen sich einige entwickeln, andere aussterben.
Um zu kommunizieren, verwenden wir verschiedene Mittel, die Ihnen, moderner Leser, sicherlich bekannt sind. Historisch gesehen sind diese mit der sich verstärkenden Fähigkeit der Menschen, ihre Welt zu gestalten, und mit ihrer zunehmenden Abhängigkeit voneinander, gewachsen und üben einen großen Einfluß auf die Meinungsbildung aus.

Doch nun ist das Gespräch zu Ende und er muß sich wieder der gestellten Aufgabe widmen. Also zurück an den Schreibtisch und zur Flasche.
Beim ersten Glas des Destillates durchströmt den Geplagten ein Wohlbefinden, das auch seinen Geist erfaßt und ihn beflügelt. Wie ein reißender Strom fließen unserem Schreiberling die Worte nur so aus der Feder. Kaum kann er der Flut folgen, bis diese versiegt. Schnell das nächste Glas! Doch ach, nur noch spärlich tröpfeln Worte hervor. Auch beim dritten Glas wird es nicht besser. Aber dann beim vierten: Von einer Lawine fortgerissen sieht man sich außerstande, der Gedankenfülle Herr zu werden. Ja! Da ist es! Wortgewandt, witzig, voller Esprit entsteht der Text, der Spaß macht!

Die folgenden Dinge lasse ich lieber im Dunklen, da ich Sie, empfindsamer Leser, nicht mit Peinlichkeiten erschrecken möchte. Auch sei hier noch einmal betont, daß der Mißbrauch diverser Alkoholika, und dann noch durcheinander getrunken, nicht immer zum Entstehen einer Schrift führt, die Spaß macht. Manchmal kommt es beim Aufwachen zu bösen Überraschungen…

 

Leserbrief
Kassandra
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