ianus
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feedback

im
großen saal seines anwesens saß der graf mit einem redakteur
des lokalen fernsehsenders zu tische. in seiner form polygon,
war dessen fläche mit einer politur dermaßen blank
gerieben, daß in solchem glanz die bilder der gegenüber
liegenden wand en detail zu erkennen waren. in korrekter symmetrie
füllte edles gedeck die ebene, in deren mitte ein prächtiger
karpfen dampfte. der raum war hell und lichtdurchflutet.
vor dem langen glas der fenster stand ein fernrohr aus glänzendem
metall, daneben ein modernes teleskop, und daneben ein kirschholztischchen,
rund, von geringem durchmesser, das einen sextanten
trug. aus versteckten boxen erklang eine fuge von bach, während
die speisenden eine konversation pflegten.
daß
dem alkohol schon gebührlich zugesprochen worden war, sollte sich
zeigen, als der reporter leicht angesäuselt einen witz zu machen
versuchte: „’wenn eine kultur fühlt, daß es mit ihr zu ende geht,
läßt sie den priester kommen.’ karl kraus, glaube ich", feixte er verschwörerischen
blickes. doch dieser harmlos anheimelnde satz brachte den gastgeber
sogleich in harnisch.
- „dieser art also! vielleicht betrachtet ein rohling wie
sie es ja als sekundär, wenn pfaffen wie dieser schmidt
sich ihrem fetisch hingeben", geiferte er sein überrascht zusammenzuckendes
gegenüber an, „aber in meiner welt verkehrt ein mann gottes
nicht mit minderjährigen knaben. ich weiß es zu schätzen, daß sie nicht,
wie es ihrem stand sonst zu eigen ist, nachrichten unbesehen
an die öffentlichkeit tragen, sondern den versuch unternehmen,
hinter die fassade zu sehen. doch jener löbliche plan ist
ihnen in dieser sache grandios mißlungen!"
- „mein lieber ..."
- „ich bin nicht ihr lieber! in ihrem bericht legten sie nahe,
die buben hätten im reflex auf schlechte noten den mann
zu unrecht beschuldigt. das ist grotesk! ganze klassen haben im
kern übereinstimmend die immer gleiche situation beschrieben."
- „aber das war doch ..."
- „papperlapapp! im rahmen der ermittlungen, die zur ladung
des schänders meines neffen führen sollten, habe ich mich durch abertausende
von seiten gefressen, gefüllt mit zittriger schrift von
kindeshänden. mir standen die falten des entsetzens im gesicht.
meine frau sagte: vexier dich nicht so! rasier dich! schmink
über deine augenringe! rück den stuhl beiseite und laß ab von dem
horror! du hast verpflichtungen! komm, oder ich zerr dich ins badezimmer!
doch ich konnte keins mehr von innen sehen, nachdem ich einblick
in die ganze perfidie dieses sogenannten kirchendieners genommen hatte.
- beim wasser lassen lauerte er ihnen auf! griff von hinten
... die hose konkav ..."
- „mit verlaub, wenn schon: konvex!"
- „sie unverschämter flegel! denken sie, das sei nur eine show
hier? in der es um billige effekte geht? wie viele länder
kennen sie, in dem ein priester ungestraft seinen schaft ... in
die unschuldige röhre ... von kindern!"
- „aber guter mann, das ist doch gar nicht be..."
- „sie! hätten sie sich die mühe gemacht, diese ungeheuerlichkeit auch
nur annähernd objektiv zu betrachten, hätten sie vielleicht bemerkt,
daß diese affäre das ganze system zerfrißt! wenn ich dem
drang nach zucker stets nachgebe, brauche ich mich nicht zu wundern,
wenn das cholesterin mich schlußendlich umbringt!"
- „nun, sie sollten vielleicht eher an ihr adrenalin denken! aber,
hierbei geht es augenfällig um ein anderes hormon. und testosteron
wohnt doch in uns allen!"
- „da fall’ mir doch das linke ei ab! und wölb’ sich die
galle nach außen! greif er sich einen degen von der bespannung!
mag er zeigen, wenn schon kein herz in ihm wohnt, ob er ein statthafter
fechter ist!"
- „aber exzellenz! ..."
der
graf war von der tafel aufgesprungen und hatte dem kreuz kalter
waffen zur rechten ein florett entrissen. vom ersten hieb getroffen torkelte
der fassungslose journalist über eine schwelle in den schatten
des benachbarten zimmers.
bronze
rann das blut über sein haupt und tropfte auf das glatte
holz. wie öl sog es sich in seinen kragen, als er
in einem winkel des kabinetts zusammenbrach. mit der hand
strich er seine sonnenbrille von den augen. er fühlte sich hohl.
vor einem schrank liegend starrte er minutenlang zur kuppel
des raumes hinauf, und bemerkte, wie das letzte licht des tages,
durch ein prisma zu einem fächer aus energie verzaubert,
im gewölbe über der galerie spielte, bevor er seines bewußtseins
verlustig ging.
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