ianus
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14 vorrede 170

I (in
kürze)
betrachtete einst ich kunst, und wähnte mich humanistisch wohl gebildet
erkennenden geistes, so bedurfte es der geduldigen anleitung durch meine
liebe ex-gattin elfriede, die heute wieder wohlvermählt ein glückliches
leben führen darf, mir schließlich die augen zu öffnen;
nicht das vom menschen hervorgebrachte, von natur und eindeutiger festlegung
durch umgrenzende funktion befreite, mit hervorragendem und spezifischem
können und großem geistigen vermögen verschränkte,
singuläre geltung erlangende, das verifizierungen nicht bedarf, nicht
die abgrenzung von genius zu handwerk, nicht die wirkung als quietiv oder
stimulans des lebens, nicht scheinbare intensionsperiodisierung, der vermessene
glaube des schaffenden, zur bestimmung seines tuns zu gelangen, das selbst
definieren zu können, nicht das irrlichtern durch erfahrungshierarchien,
von mimesis zu katharsis etwa, oder abergläubische wendungen zu holzpfaden
wie disegno naturale, disegno artificale, inventio, concinnità,
maniera oder aberwitzigkeiten wie disegno fantastico sind betrachtenswerter
kern von kunst, bilden deren intension, aussage, rezeption oder grundlage,
sondern es spricht aus allem der legitime soziale diskurs, der kampf des
femininen um gesellschaftliche korrektur eines unwesens, welches äonen
das allschöpferische wesen ihres seins negierte, die natürliche
realität ad absurdum führend die fasces inferioren drohnen zuspielte.
ich wage es gar nicht, mich allzu sehr zu verbreiten über ein thema,
das ich trotz anhaltender mühen meiner lieben elfriede und strebsamen
fleiße eines willigen, aber von der natur benachteiligten eleven,
der ich ihr in höriger bewunderung war, noch heute nicht vollends
zu erfassen vermag. schmerzlich gerann die erkenntnis, dass der männliche
geist in der ihm immanenten umschränktheit nicht befähigt ist,
die ebene des kleinteilig-präzisen, komplex strukturierten und alleben
beschriebenen musters des weiblichen genius zu erreichen. der bloße
versuch muss scheitern. die wortmeldung bereits verheerte nachhaltig:
der wohl komponierte pinselstrich großer meister, ein oeuvre aus
farbe, bewegung, bezug und emotion würde gleichsam zum groben holzschnitt
eines unterentwickelten naturvolkes degenerieren.
II
dennoch verspüre ich den drang einer heiligen verpflichtung, die
größer ist als meine ameisenseele, folge zugleich der inständigen
bitte meiner lieben elfriede, ihnen geleit zu geben zu solch sonnenmächtigem
manifest menschlichen, mehr noch: weiblichen geistes. nie wagte ich, sähe
ich mich überhaupt in der lage, zu kommentieren oder einzuführen,
der ich in meinen engen kreisen gelähmt in demütiger bewunderung
zu ihr aufsehe, der ich nicht verstehen kann.
III
das leben führte st. elfriede in die politik, gab ihr den kelch der
aktion zur hand, der sie oft schmerzlich ihrer theoretischen arbeit entsagen
ließ, welche so bahnbrechend ist. mag das handeln dem theoretiker
auch bei zeiten als strebensziel erscheinen, muss die wissende an der
abhängigkeit leiden, welche sie im amte all jenen blinden, geistesbeschränkten
ausliefert. hier folgt das handeln nicht allein dem willen, welcher stark
genug wäre, das erkannte umzusetzen, sondern beschränkt sich
durch die beschränktheit der umwirkenden.
es freut den staunend begleitenden zu sehen, dass noch die rare zeit,
die der so geliebten elfriede im ministeriellen alltage bleibt, um fortzuschreiben,
woran die welt gesundet, sich niederschlägt in souveränem vortrage,
zu kulturellen anlässen etwa, welchen ihre profession sie zuführt,
aus ihrem eignen munde den menschen geschenkt. sie steigt hinab in die
moddrige niederung profanen geistes, scheut sich nicht, am kleinen beispiele
das große, das allumgebende zu erläutern, in ihrer überlegenen
weise, so dass selbst wir unbedarften hier unten kosten dürfen von
der süße ihres genius. (...)
geschrieben im und
auf den stufen des mamorpalais zu potsdam, den 30. juni 2002
prof.
em. dr. phil. carl van schnitter
gewesener ordinarius f. antike geschichte und mediterrane kultur a.d.
universität zu tübingen,
kurator der klassischen scherbensammlung im völkerkundemuseum zu
worms
(der
autor distanziert sich vom inhalt dieses textes.)
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